Stellungnahme zum Bahn-Gutachten von Roland Berger

Lobbyismus für Partikularinteressen verlagert keinen Verkehr auf die Schiene. In dem Gutachten von Roland Berger werden 100 Einzelmaßnahmen aufgelistet und viele Partikularinteressen bedient. Ein Gesamtkonzept, das wirklich geeignet wäre, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, ist nicht erkennbar.

Stellungnahme von Ralf Jahncke, Dr. Andreas Deutsch und Thomas Witte, TransCare GmbH, Wiesbaden

Seit Jahrzehnten und nicht erst nach der Bundestagswahl wird das Thema „Erhöhung des Güterverkehrsanteils auf der Schiene“ diskutiert. Fraglich ist, ob und wie dieser sogenannte Modal Split Schienengüterverkehr von derzeit 19 auf 25 Prozent bis zum Jahr 2030 erhöht werden kann. Dazu hat der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ein von der Beratungsfirma Roland Berger (RB) erstelltes Gutachten beauftragt, wie dieses Ziel erreicht werden kann. 1 Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Erreichung dieses Ziels möglich ist und schlägt dazu 100 Einzelmaßnahmen vor. Aus unserer Sicht erscheinen etliche Maßnahmen sinnvoll, jedoch steht in besagtem Gutachten auch auffallend oft das Lobbyieren von Partikularinteressen im Vordergrund. Viele der Maßnahmen sind uralt und – vorsichtig formuliert – gegen den Wettbewerber Straße gerichtet. Ein roter Faden ist – wenn überhaupt – nur in Teilen zu erkennen. Die Historie zeigt, dass eine generische Empfehlung ohne konkrete Schritte zum Scheitern verurteilt ist. So ist in den UIC Merkblättern für den Waggonneubau z. B. seit 1976 faktisch europaweit vorgeschrieben, dass die konstruktiven Voraussetzungen für den (nachträglichen) Einbau der Automatischen Kupplung (AK) zu berücksichtigen sind. Passiert ist indes bis heute nichts. Dabei wurden seither gut 500.000 Waggons entsprechend den Vorgaben konstruiert, was zu Mehrkosten pro Waggon von rund 2.000 Euro führte und womit gut 1 Mrd. Euro aufgrund fehlender politischer Entschlossenheit sinnlos verpulvert wurden 2.

Was kann besser gemacht werden? TransCare schlägt fünf Punkte vor.

1.) Von der Straße lernen, statt sie zu diskriminieren
Die Formel „Straße teurer machen, dann kommt schon genug auf die Schiene“ ist nicht zielführend. So konnte TransCare bereits 2006 in einer Studie aufzeigen, dass reine fiskalische Maßnahmen (Maut hoch, Trassenpreis runter) nur zu eher geringen Verkehrsverlagerungen führen. Stattdessen muss die Qualität und Produktivität auf der Schiene verbessert werden. Dazu zählen kurzfristige Buchungen, flächendeckende Angebote, Branchenlösungen (z. B. temperaturgeführte Transporte) sowie Digitalisierung und Automatisierung von Infrastruktur und Fuhrpark. Schon rein kommerziell betrachtet stecken große Reserven im Bahnverkehr, wenn

  • logistische Anforderungen und bahnbetriebliches Leistungsvermögen Kompromisse eingehen und
  • die bestehenden Kapazitätsreserven (740 Meter optimale Zuglänge versus 450 Meter aktuell durchschnittlich genutzter Zuglänge) ausgeschöpft würden.

2.) Technologie: Automatische Kupplung und elektronische Sicht
Anstatt mehrere Einzelvorschläge unter dem Stichwort Digitalisierung und Innovation zu kopieren, sollte eine klare Linie für eine zukunftsfähige Bahn aufgezeigt werden. Diese Linie heißt ganz klar Digitalisierung und Automatisierung, woraus enorme Effizienzzugewinne resultieren werden. Die Hauptwerkzeuge hierfür sind

  • die Digitale Automatische Kupplung (DAK) und
  • das europäisch einheitliche Zugsicherungssystem ECTS.

Die DAK ermöglicht eine automatische Bremsprobe und eine weitgehend automatisierte wagentechnische Untersuchung, die heute in der Zugvorbereitung rund 1 bis 2 Stunden Zeit in Anspruch nehmen und die so auf 10 bis 15 Minuten reduziert werden können. Außerdem kann die DAK die notwendigen Informationen für die Zugintegrität und den Zugschluss liefern, was den Schritt zum Fahren auf elektronische Sicht, wie sie im ECTS Level 3 angestrebt wird, überhaupt erst möglich macht.

Die elektronische Sicht würde wiederum die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Strecken dramatisch erhöhen. Daher ist ein verbindlicher Zeitplan, bis wann die DAK europaweit eingeführt worden sein muss, inklusive der sicherlich – analog zum Vorgehen bei der „Flüsterbremse“ – erforderlichen dirigistischen Maßnahmen (Entzug von Zulassungen, Sanktionen beim Trassenpreis), unabdingbar.

3.) Effizienzorientierter Ausbau von Infrastruktur an konkreten Engpässen
Neben dem dringenden Ausbau von Engpassstellen (z. B. Betuwe- und Gotthardzubringer, Abfuhrstrecken von Hamburg und Bremerhaven) sollte das Netz an die heutigen Transportströme angepasst werden. Das aktuelle Netz ist noch immer aus historischen Tagen zu sehr Nord-Süd und nicht ausreichend West-Ost orientiert. So gibt es heute beispielsweise südlich von Frankfurt/Main keine hinreichend leistungsfähige, elektrifizierte West-Ost-Querung im deutschen Netz, während die Autobahnen A6 und A8 zu den meistbefahrenen des Landes zählen. In einer Konsequenz dieses Fakts gibt es lediglich eine elektrifizierte Bahnstrecke nach Tschechien, die über Bad Schandau im Osten Deutschlands führt, aber keine einzige aus den wichtigen Wirtschafträumen in Süddeutschland. Dieser überaus wichtige Punkt fehlt gänzlich in der Roland Berger-Studie!

Als „state oft the art“ für Infrastrukturausbau sollte die doppelgleisige, elektrifizierte Strecke für Zuglängen von 740 Metern möglichst auf allen Hauptachsen umgesetzt werden. Vorschläge, wie einen Tunnelausbau in Deutschland, um Sattelanhänger mit 20 Zentimeter höherer Eckhöhe transportieren zu können, passen da nicht ins Bild. Zu langwierig wäre der Prozess und zu gering der Nutzen. Viel schneller und ohne teure technische Anpassung wäre z. B. eine Privilegierung der Bahn im Vor- und Nachlauf im Lastbereich erreichbar. Lkw im Vor- und Nachlauf mit 50 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht würden unmittelbar helfen, die Potenziale, die der Waggonleichtbau heute schon bietet, auch auszuschöpfen. Ein innovativer Leichtbau-Waggon kann heute schon zwei Container mit rund 37 bis 38 Tonnen lasttechnisch aufnehmen, der Lkw darf aber nur maximal zirka 32 bis 33 Tonnen zum Terminal bringen, obwohl die StVO mit acht Tonnen zul. Gewicht je Achse die Möglichkeiten dazu böte.

Der Neubau von Gleisanschlüssen sollte nur da, wo gewünscht, gefördert werden, dann aber mit weniger bürokratischem Aufwand. Die Klausel, dass nur gefördert wird, wenn ein Unternehmen nachweisen kann, dass ein Gleisanschluss aus eigenen Mitteln nicht wirtschaftlich wäre, fördert bestenfalls die Kreativität in der kalkulatorischen Kostenrechnung, aber nicht einen signifikanten Anstieg des Schienengüterverkehrs. Eine verbindliche Prüfung eines Gleisanschlusses bei der Ausweisung neuer Gewerbegebiete, wie in der Studie gefordert, würde nur zu ähnlichen Klimmzügen führen, wenn es dann darum geht, nachzuweisen, dass ein Gleisanschluss nicht möglich ist. Mehr würde erreicht, wenn bestehende Hürden bei der Planung von Gleisanschlüssen beseitigt würden, wie es etwa das faktische Verbot von niveaugleichen Straßenquerungen darstellt. Dieses führt regelmäßig dazu, dass Unternehmen, selbst bei unmittelbarer räumlicher Nähe zur Bahn, nicht an diese angeschlossen werden können, weil zwischen Bahn und Unternehmen eine Straße liegt, die für viele Millionen Euro mittels Brücke oder Unterführung den Weg für den Gleisanschluss erst freimachen müsste. Im Übrigen ist dies ein Anachronismus in Zeiten, wo Straßen- und Stadtbahnen mitten auf Straßen gelegt werden, um den Individualverkehr zu behindern. Warum soll das nicht auch dem Güterverkehr zugestanden werden?

4.) Effiziente Nutzung von Assets
Die Studie unterstellt, dass zum Erreichen des Modal Splits von 25 Prozent insgesamt 37 Prozent mehr Streckenloks und Waggons sowie 12 Prozent mehr Rangierlokomotiven benötigt werden. Das ist einfach falsch!

Bezüglich der Streckenloks haben private Bahnen heute eine um 50 Prozent höhere Asset-Effizienz als DB Cargo. DB Cargos Marktanteil lag 2020 bei knapp 50 Prozent, Tendenz als logische Folge fallend. Außerdem wurde in den 1990er Jahren der strategische Fehler gemacht, sechsachsige Lokomotiven durch vierachsige zu ersetzen. Eine sechsachsige Lokomotive kann bei künftig steigenden Zuglängen oft zwei nicht voll ausgelastete vierachsige Lokomotiven am Zug ersetzen. Während man sich bei DB Cargo immer noch sträubt, sechsachsige Loks zu bestellen, setzen die Privatbahnen auf diesen Loktyp und freuen sich über zusätzliche Marktanteile.

Ein weiterer Trend ist die steigende Anzahl von Zweikraftlokomotiven, d. h. Streckenlokomotiven, die sowohl elektrisch als auch mit Diesel fahren können. Dadurch wird künftig an vielen kleineren und mittleren Standorten und an regionalen, nicht elektrifizierten Strecken das Vorhalten von Streckendiesel- und Rangierlokomotiven deutlich reduziert werden.

Bei den Güterwaggons geht der Trend klar zur Trennung von Waggo-naufbau und Waggonkasten. Außerdem werden die Waggons zunehmend leichter, so dass die Kapazität der Waggons zunehmend größer und damit der Bedarf geringer wird. Ein weiterer Trend ist das Leasing, vermehrt auch Spot-Leasing. Eisenbahnunternehmen leasen Waggons nur für die Vertragsdauer des Verkehrs (in der Regel zwei bis drei Jahre, im kürzesten Fall ad hoc je Transport). Durch diesen Trend hin zu „Asset light“ wird sich die Laufleistung der Waggons in den kommenden Jahren merklich erhöhen und es werden dadurch weniger Waggons benötigt. Und auch die DAK wird durch die Beschleunigung der Abläufe den Wagenbedarf grundsätzlich reduzieren.

5.) Trennung von Sattelanhängeraufbau und Chassis
Der Transport von Behältern ist wirtschaftlicher als der von Sattelanhängern. Der Vorteil eines Sattelanhängers auf der Straße hingegen liegt in dessen Unabhängigkeit von der ziehenden Einheit. Daher sollte ein Gesetzentwurf zur Verlagerungsförderung die Vorteile beider Systeme (Behälter und Auflieger) kombinieren.

Daher empfehlen wir, anstelle einer verpflichtenden Kranbarkeit für Sattelanhänger alternativ die bauliche Trennung von kranbarem Behälteraufbau und Auflieger gesetzlich zu verordnen. Somit kann entweder nur der Behälter oder der Behälter samt Chassis im Kombinierten Verkehr transportiert werden. Und weil ein fest verankerter Wechselaufbau auf einem Waggon nicht so sehr wankt wie der Sattelanhänger der auf seinen Gummirädern steht (dafür muss nämlich genug Platz in den oberen Ecken der Tunnel bereit gehalten werden), kann dann auch der Tunnelausbau für 4,20 Meter Eckhöhe unterbleiben.

Zusammenfassung
Es braucht Disruption – ein völliges Umdenken, um die dringend erforderliche Verlagerung von Verkehr auf die Schiene erfolgreich umzusetzen.

Die Wiederholung der Summe an politischen Forderungen und technischen Detailforderungen hat die Bahn in den vergangenen 70 Jahren nicht weitergebracht. Im Gegenteil: Sie hat Marktanteile von ehemals knapp 50 Prozent auf heute unter 20 Prozent verloren. Dies weil sich der Straßenverkehr im Wettbewerb innovativ entwickelt hat. Und wenn es so weitergeht, wird der Straßengüterverkehr noch vor dem Schienengüterverkehr CO2-frei unterwegs sein – dank deutscher Politik, die Atomkraftwerke vor Kohlekraftwerken abgeschaltet hat.

Es bedarf

  • einer einfachen technischen Revolution, der DAK,
  • flexiblen kommerziellen Denkens und
  • überzeugender Güterverkehrsprofis, die den Verladern Kompromisse, die zumal zu Einsparungen der Transportkosten führen werden, abringen können.

Was es aber keinesfalls braucht, ist die Effizienz der Güterlogistik in Teilbereichen zu riskieren. Wir benötigen dringend einen erfolgreichen intermodalen Verkehr, denn der liefert noch immer die schnellste Lösung zur Verkehrsverlagerung. Dazu braucht es aber beides: einen effizienten Straßen- und Schienengüterverkehr!

1) Roland Berger im Auftrag des VDV: Gutachten zum Schienengüterverkehr in Deutschland bis 2030
2) Prof. Dr. rer. pol. Bernhard Sünderhauf, 2009: Die Automatische Mittelpufferkupplung (AK)

Download:
Stellungnahme von TransCare zum Roland Berger-Gutachten “Schienengüterverkehr in Deutschland bis 2030”

Ansprechpartner:
Ralf Jahncke
TransCare GmbH
Tel: +49 (0) 611 7634 163
E-Mail: r.jahncke@transcare.de



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